Wissenschaftsfreiheit: 22 Länder von Rückgängen betroffen

Weltkarte, wo die Länder entsprechend ihres Academic Freedom Indexes 2023 unterschiedlich eingefärbt sind. Quelle: Academic Freedom Index-Project
Bild: Academic Freedom Index-Project

Forschende der Universität Göteborg und der FAU veröffentlichen den jährlichen Index der Wissenschaftsfreiheit

In internationaler Kooperation erforscht das Academic Freedom Index (AFI)-Projekt den weltweiten Stand der Wissenschaftsfreiheit und bietet mit dem nun erschienenen AFI Update 2023 einen Überblick über 179 Länder weltweit: 2022 lebten insgesamt mehr als 50% der Weltbevölkerung – ungefähr 4 Milliarden Menschen – in Ländern, in denen die Wissenschaftsfreiheit seit 2012 stark zurückgegangen ist. Es sind insgesamt 22 Länder, in denen Studierende und Forschende unter signifikant schlechterer Wissenschaftsfreiheit lernen und forschen als noch vor zehn Jahren.

Diese Rückgänge betreffen sowohl Demokratien als auch Autokratien.

Im selben Zeitraum hat sich die Wissenschaftsfreiheit in nur fünf Ländern verbessert, wo wiederum nur ca. 0.7% der Weltbevölkerung leben. Ferner verdeutlicht das AFI Update 2023, dass Wissenschaftsfreiheit in 152 Ländern stagniert, oft auf einem zu niedrigen Niveau.

Aus der Perspektive eines durchschnittlichen Menschen betrachtet ist die Wissenschaftsfreiheit heute so schlecht geschützt wie zuletzt vor vier Jahrzehnten.

Autokratien und Demokratien unter den Verlierern

Das diesjährige AFI 2023 Update verdeutlicht, dass der Rückgang in der Wissenschaftsfreiheit nicht auf autokratische Regime beschränkt ist, sondern auch demokratisch regierte Länder erfasst. Dabei stellen die Forschenden der FAU und der Universität Göteborg fest, dass verschiedene Muster des Rückgangs erkennbar sind. Sie zeigen dies exemplarisch anhand von vier bevölkerungsreichen Ländern: China, Indien, Mexiko und die Vereinigten Staaten von Amerika.

Indiens Rückgang in der Wissenschaftsfreiheit startete von einem vergleichsweise hohen Niveau und ist nun in Folge einer Autokratisierung unter Modis hindu-nationalistischer Regierung unter erheblichen Druck geraten. Der Fall China illustriert Variation in einem autokratischen Regime, das den Handlungsspielraum von Universitäten weiter einschränkt. Beide Länder sind bevölkerungsreich, insofern ist ihre Entwicklung besonders folgenreich: Die Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit betrifft allein in diesen beiden Ländern mehr als 2,8 Milliarden Menschen.

Ferner enthält der Bericht nähere Informationen zu Mexiko und den USA – zwei Demokratien, in denen die Wissenschaftsfreiheit unter Druck ist. In beiden Ländern haben gewählte Politiker/-innen den Versuch unternommen mit fiskalischen Mitteln und Personalpolitik mehr Kontrolle über Universitäten auszuweiten – nicht ohne Konsequenzen für die Wissenschaftsfreiheit. Die Vereinigten Staaten zeigen dabei, dass ein Wechsel der Bundesregierung weniger ausschlaggebend für die Wissenschaftsfreiheit sein kann als die subnationale Politik in den Bundesstaaten.

Die komplette Liste der Academic Freedom Index-Werte für alle Länder kann im AFI-Update 2023 in den Abbildungen 2 und 3 eingesehen werden.

Diagramm, das Zunehmende und abnehmende Werte auf dem Academic Freedom Index zwischen 2012 und 2022 abbildet.
Zunehmende und abnehmende Werte auf dem Academic Freedom Index, 2012-2022. Wissenschaftsfreiheit nimmt zu, wenn sich Länder oberhalb der diagonalen Linien befinden und nimmt ab, wenn sich Länder unterhalb der diagonalen Linie befinden. Länder mit einer Länderbezeichnung sind diejenigen, in denen sich der AFI zwischen 2012 und 2022 statistisch signifikant und substantiell bedeutend verändert hat. Die Größe der Punkte zeigt die Bevölkerungsgröße (Bild: Academic Freedom Index; Daten: World Development Indicators, Weltbank).

Datenerhebung und die fünf Indikatoren des AFI

Der AFI liefert Daten zur Wissenschaftsfreiheit weltweit für den Zeitraum 1900 bis 2022. Die systematische Erhebung stützt sich auf Einschätzungen von 2197 Länderexpertinnen und -experten aus der ganzen Welt. Dies sind in der Regel Akademikerinnen und Akademiker, die entweder in dem Land leben, das sie kodieren, oder ausgewiesene wissenschaftliche Länderexpertise haben. Die einzelnen Bewertungen (318.219 Beobachtungspunkte) werden mithilfe eines statistischen Modells aggregiert, das vom V-Dem Projekt an der Universität Göteborg für einen größeren Demokratiedatensatz entwickelt wurde.

Der AFI selbst setzt sich aus fünf Indikatoren zusammen. Jeder Indikator erfasst dabei eine andere Dimension der Wissenschaftsfreiheit: Freiheit der Forschung und Lehre, sowie Freiheit des akademischen Austauschs und der Wissenschaftskommunikation, die institutionelle Autonomie, die Campus-Integrität sowie die akademische und kulturelle Ausdrucksfreiheit.

Open Access und interaktive Weltkarte

Die detaillierten Daten, aus denen sich der AFI 1900-2022 zusammensetzt, sind zur freien Verfügung online abrufbar. Eine neue, interaktive Website kann unter academic-freedom-index.net aufgerufen werden. Dort stehen Visualisierungstools sowie weitere Informationen zum Projekt zur Verfügung. Der Index kann von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für weiterführende Forschung genutzt werden, aber auch von Universitätsleitungen, Forschungsförderern, politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern sowie Studierenden zu Rate gezogen werden.

Über das AFI-Projekt

Das AFI-Projekt wird an der FAU und am V-Dem Institut der Universität Göteborg koordiniert. Insgesamt sind 2197 Forschende in der Datenerhebung eingebunden. Die VolkswagenStiftung ermöglicht die Erstellung und wissenschaftliche Auswertung der Index-Daten seit 2021; sie fördert das Index-Projekt für insgesamt fünf Jahre.

Der volle Bericht für 2023 ist unter https://doi.org/10.25593/opus4-fau-21630 abrufbar.

Academic Freedom Index: Warum die Forschungsfreiheit vielerorts bedroht ist

Prof. Dr. Katrin Kinzelbach
Prof. Dr. Katrin Kinzelbach, Professur für Internationale Politik der Menschenrechte, hat einen Index zur akademischen Freiheit veröffentlicht. (Foto: FAU/Georg Pöhlein)

Warum ist die Wissenschaftsfreiheit in so vielen Ländern bedroht? Mit welchen Mitteln wird auf die Forschungsagenda einzelner Forschungsbereiche oder Individuen Einfluss genommen? Diese Fragen beantwortet Prof. Dr. Katrin Kinzelbach, Professur für Internationale Politik der Menschenrechte, in einem Interview im Campusmagazin des BR24.

Zum Beitrag

Weitere Informationen

Prof. Dr. Katrin Kinzelbach
Institut für Politische Wissenschaft
Tel.: 09131/85-23481
katrin.kinzelbach@fau.de

Dr. Lars Pelke
Institut für Politische Wissenschaft
Tel.: 0152 2839 0400
lars.pelke@fau.de