Energiefresser Digitalisierung

zahlreich Steckdosen mit Kabeln über- und nebeneinander an der türkisen Wand
(Bild: shutterstock.com/fotomek)

Ist die Digitalisierung wirklich nachhaltiger?

In den Anfängen der Digitalisierung war kaum vorstellbar, wie tief die Informationstechnik den Alltag durchdringen würde. Aus den 1940er-Jahren stammt die Prognose von IBM-Chef Thomas Watson: „Ich denke, dass es einen Weltmarkt für vielleicht fünf Computer gibt.“ Rechnet man allein die PCs, Tablets sowie Smartphones eines typischen deutschen Privathaushaltes mit mindestens zwei Personen zusammen, dürfte die Zahl von fünf Computern überschritten sein. Und da sind Smartwatches, Smart-TV oder Saugroboter noch gar nicht mitgezählt.

Die digitalen Helfer haben allerdings eine Kehrseite: Der Stromverbrauch durch digitale Anwendungen wächst kontinuierlich mit. Das lässt sich an der Pi-mal-Daumen-Schätzung des Stromverbrauchs für eine einzige Suchanfrage bei Google illustrieren: rund 0,3 Wattstunden. Allein bei Google gehen pro Sekunde weltweit gut 2,4 Millionen Suchanfragen ein, das verbraucht rund 720 Kilowattstunden (kWh). Das ist grob ein Drittel des jährlichen Stromverbrauchs eines deutschen Einpersonenhaushalts.

Die jährlichen Treibhausgas-Emissionen durch die Digitalisierung in Deutschland sind stattlich, das belegt der der Bericht „Deutschland auf dem Weg zur Klimaneutralität: Welche Chancen und Risiken ergeben sich durch die Digitalisierung?“ der KfW. Demnach dürften im Jahr 2020 digitale Anwendungen rund 34 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß verursacht haben. Darin enthalten sind auch die Emissionen, die bei der Herstellung der Endgeräte sowie der digitalen Infrastruktur angefallen sind. Rein rechnerisch entspricht dies einem Anteil von gut vier Prozent an den gesamten deutschen Treibhausgas-Emissionen. Der digitale Fußabdruck pro Person und Jahr beträgt bei durchschnittlicher privater Nutzung digitaler Geräte rund 740 Kilogramm CO2. Bei intensiver Nutzung steigt dieser Wert auf rund 1050 Kilogramm CO2 pro Jahr und Kopf an.

Energiesparen bei der Videocodierung

Einzelne Bilder kommen aus dem Hintergrund nach vorne geflogen.
(Bild: shutterstock.com/metamorworks)

Dieses rasante Wachstum der Internetnutzung und des damit einhergehenden Energieverbrauchs resultiert maßgeblich aus dem Videokonsum über das Netz. Schon vor der Corona-Pandemie machte er insgesamt 80 Prozent des Traffics aus. Die meisten User greifen auf Streaming-Plattformen zu, gefolgt von Pornografie, Video-Plattformen sowie Videos auf den Social-Media-Kanälen. „Die wachsenden Datenströme und die damit verbundenen Emissionen sind ein globales Problem“, kommentiert Dr. Christian Herglotz vom FAU-Lehrstuhl für Multimediakommunikation und Signalverbreitung.

Die Umrechnung des Stromverbrauchs der Endgeräte beim Videostreamen in sogenannte CO2 -Äquivalente, also den angenommenen CO2-Ausstoß, ist ein komplexes Unterfangen. Denn je nach Energiequelle variieren die CO2-Emissionen pro Kilowattstunde von rund 13 Gramm bei Wasserkraft bis zu 1230 Gramm bei Braunkohle. Die entscheidende Variable ist hier beispielsweise die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien, die allerdings vom Wetter abhängt. Eine andere Variable beim Streamen vom Rechenzentrum inklusive des letzten Übertragungswegs per WiFi ist das Endgerät selbst, also etwa Smartphone, Tablet, Laptop, 40- oder 50-Zoll-Fernseher oder ein PC.

Der Energieverbrauch des Endgerätes beim Streamen hat ebenfalls noch mehrere Dimensionen. Das haben Herglotz und sein Team im Lehrstuhl-Labor erstmals beispielhaft für ein Smartphone gezeigt. Sie erfassten die Leistung zum Decodieren und Abspielen des Videos, für Helligkeit des Displays sowie für den Audiobedarf. Die Messergebnisse zeigen, dass insbesondere die Leerlaufleistung, das Videostreaming und das Display für den Großteil des Verbrauchs bei einem HD-Video verantwortlich sind.

Technisch ermöglichen die sogenannten Videocodecs – Algorithmen zum Codieren und Decodieren –, dass Anbieter ihre Videodaten für den Transport durchs Internet komprimieren und Endgeräte diese komprimierten Daten wieder decodieren können. Die dazu nötigen Hardwarechips in den Endgeräten sind bereits hocheffizient und reduzieren die benötigte Energie deutlich. Verfügt allerdings ein veraltetes Endgerät nicht über den passenden Mikrochip, läuft das Entschlüsseln über den Prozessor im Endgerät. Das kann dann schon mal das Zwanzigfache bis Hundertfache an Energie verbrauchen.

Forscher Herglotz arbeitet nun an einer Idee, um bei diesem Übertragungsprozess auch das Thema Energieeffizienz zu implementieren. Dieses zusätzliche Feature zum Energiebedarf in den Codecs ist aus seiner Sicht innovatives Neuland. So könnte zukünftig ein Handy automatisiert in den Übertragungsprozess eingreifen und bei gleichbleibender Filmqualität quasi einen Stream mit weniger Energiebedarf anfordern. So wird den beiden bestehenden Prinzipien der Videokompression – minimierte Übertragungsrate bei maximaler Videoqualität – erstmals die Dimension der Decodier-Energie hinzugefügt. In der Praxis teilt dann beispielsweise das Smartphone dem Video-Rechenzentrum mit, dass die Übertragung der restlichen 30 Video-Minuten an die Rest-Akkulaufzeit von 20 Minuten angepasst werden müsse.

Im Ländervergleich

Der Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index schätzt den Stromverbrauch der Kryptowährung Bitcoin auf 144 Terawattstunden (TWh) pro Jahr, das wäre mehr als der Verbrauch der Niederlande. Andere taxieren den Energiebedarf auf unter 118 TWh und damit so viel, wie Peru benötigt.

Kryptowährung: Datenschutz oder Energieeffizienz?

Eigentlich halbiert sich durch technischen Fortschritt alle zwei Jahre der Stromverbrauch pro übertragenem Gigabyte. Dieser langfristige Trend zu mehr energieökonomischer Effizienz wird allerdings durch den sogenannten Rebound-Effekt konterkariert. Mehr Videostreamer und längeres Videostreamen benötigen mehr Energie und emittieren damit mehr CO2. Gleiches gilt natürlich auch für Audiodaten, Bilder oder die durch Corona forcierten Videokonferenzen.

Ein anderer digitaler Energiefresser ist in diesem Jahr durch Tesla-Chef Elon Musk ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gerückt worden: die Kryptowährung Bitcoin. Seinen fast 60 Millionen Twitter-Followern verkündete er zunächst, dass der E-Autobauer Bitcoins als Zahlungsmittel akzeptieren wolle. Dann kam der Rückzieher: Angesichts des Energieverbrauchs der Bitcoin-Blockchain nutze Musk die Währung erst bei nachhaltiger Stromversorgung.

Der gigantische Strombedarf der ältesten und bekanntesten Kryptowährung resultiert aus ihrem besonderen Consensus-Algorithmus. Ein Teil dieses Verfahrens beruht auf dem „Proof-of-Work“ (PoW). Dieser wird zur Erzeugung neuer Blöcke verwendet und verbraucht rund 90 Prozent der Energie.

Den hohen Energiebedarf hat auch Prof. Dr. Dominique Schröder vom FAU-Informatik-Lehrstuhl für angewandte Kryptografie im Blick. Allerdings sieht er auch Vorteile, allen voran die Tatsache, dass das Bitcoin-Netzwerk durch seine dezentrale Struktur von Anfang an ohne Unterbrechung fehlerfrei läuft. „Das ist in der Welt der IT eine seltene Ausnahme.“ Weitere Pluspunkte sind für ihn der Sicherheitsaspekt, der Ausschluss von politischen Eingriffen und letztlich auch die hohe Transparenz der Transaktionen.

Außerdem übersieht die Kritik am virtuellen Bitcoin-Geld die Kosten für das physische Bargeld, hebt Schröder hervor. Denn die geschätzten weltweiten Produktionskosten für Papiergeld liegen bei fünf Terawatt pro Jahr. Hinzu kommt der globale Energiebedarf der Bankenbranche von rund 100 Terawatt im Jahr.

Verdoppelt?

Der französische Think Tank The Shift Project berechnete vor der Corona-Pandemie den globalen Treibhausgas-Anteil der digitalen Technologien auf vier Prozent. 2025 könnte der Anteil der digitalbedingten Emissionen bei acht Prozent liegen. Knapp die Hälfte der Treibhaus-Emissionen entfallen auf die Produktion von Computern, Fernsehern und anderen Endgeräten. Der globale zivile Luftverkehr verursacht rund drei Prozent.

Mit Blick auf den CO2-Fußabdruck von Kryptowährungen schneidet anderes digitales Geld wie beispielsweise Cardano deutlich besser ab. Dieser Mining-Algorithmus beruht nicht auf einer erbrachten Rechenleistung, sondern auf dem Anteil, den Miner an der Währung halten, dem sogenannten „Proof of Stake“. Außerdem etablieren sich beim Kryptogeld zunehmend sogenannte Off-Chain-Transaktionen. Sie werden nicht mehr direkt in einer Krypto-Blockchain verbucht (On-Chain), sondern laufen über eine Art Erweiterung oder Bypass. Das beschleunigt den Bezahlprozess mit virtuellem Geld und reduziert gleichzeitig den Rechenaufwand und damit den Energiebedarf. „Dieses Off-Chain-Payment hilft, den riesigen Energieverbrauch kleiner zu halten“, sagt Schröder. Off-Chain-Payment eröffnet damit das leichtere Bezahlen auch kleinerer Beträge. Das war eine Voraussetzung, damit El Salvador im Jahr 2021 den Bitcoin in den Rang eines gesetzlichen Zahlungsmittels erheben konnte.

Bei Blockchains oder Kryptowährungen spiegelt sich für Schröder, der insbesondere das Thema individuelle Privacy im Blick hat, ein grundsätzlicher Konflikt wider: „Es gibt ein Spannungsfeld zwischen mehr Privacy im digitalen Raum und mehr Effizienz.“ Effizienz bedeutet beispielsweise bei den Kryptowährungen, weniger Operationen durchzuführen und damit auch Energie zu sparen. „Leider schlägt in der Praxis die Effizienz die individuelle Datensicherheit“, kommentiert Schröder. Diese Rivalität begleitet die gesamte Entwicklung der privaten, beruflichen und gesellschaftlichen Digitalisierung.

Energieeffiziente KI

Bitcoin-Münze mit Spitzhacke zwischen Goldbrocken.
(Bild: shutterstock.com/jiap)

Die Blockchain-Technologie erlebt auch bei industriellen Modellen einen Höhenflug. Durch unveränderbar gesicherte Daten lassen sich beispielsweise einzelne Rohstoffe über Transportwege und die Verarbeitung bis zum Verkauf als Produkt zurückverfolgen. Das kann in der Diamantenbranche zu einem sicheren Ausschluss sogenannter Blutdiamanten im Handel führen oder in der Pharmabranche die lukrative Produktpiraterie mit Fälschungen eindämmen.

Industrielle Blockchain-Projekte verzichten auf das PoW-Prinzip, um neue Blocks weniger energieintensiv zu schaffen. Stattdessen entscheiden beispielsweise die beteiligten Unternehmen nach hierarchischen Regeln, dem Quorum, über einen nächsten Block in ihrer Blockchain. Valide Zahlen über den Strombedarf dieses energieeffizienteren Verfahrens gibt es zwar nicht, Schröder taxiert die Energieeinsparung durch wegfallende Rechnerleistung im Vergleich zum Bitcoin aber auf mehr als 90 Prozent.

Eine ähnliche Energieeffizienz ist auch mit einer Künstlichen-Intelligenz-(KI)-Lösung von Prof. Dr. Dietmar Fey möglich, der an der FAU den Lehrstuhl für Rechnerarchitektur innehat. Er entwickelt Mikrochips mit nicht-flüchtigen Speichern, sogenannte RRAMs. Diese programmierbaren Schaltkreise sind in der Lage, sich ihre Einstellungen auch bei ausgeschalteter Stromzufuhr zu merken, um beim Einschalten sofort weiterarbeiten zu können. So können die RRAMs Daten aufzeichnen, während sich die Schaltung für den KI-Algorithmus in einer Art energiesparendem Schlafmodus befindet. Wird die auswertende Schaltung wieder aufgeweckt, sind die benötigten Gewichte für das neuronale Netz sofort wieder da. Im Vergleich zu einer permanenten Betriebsbereitschaft lassen sich bis zu 95 Prozent der Energie sparen.

Um die Gewichte effizient zu speichern, nutzt Fey ternäre Werte. Ternäre Werte kommen mit null, eins und minus eins aus und erlauben einen Lernprozess wie in einem neuronalen Netz. Ihr entscheidender Vorteil ist der geringere Speicherbedarf, der sich wiederum auf die Energieeffizienz positiv auswirkt.

Negative Nebeneffekte

Weitere Minuspunkte für den Bitcoin-Hype: Einerseits sind die Computer für das Mining meist nur zwei Jahre betriebstauglich. Andererseits saugen Bitcoin-Miner rund ein Viertel der jährlichen Halbleiter-Produktion auf. Das verschärft den globalen Chipmangel in der Produktion von Pkw, Smartphones oder Spielekonsolen.

Auch Kleinvieh macht Mist

Diesen Ansatz hat das Gemeinschaftsprojekt des Lehrstuhls Rechnerarchitektur und des FAU-Lehrstuhls Technische Elektronik von Prof. Dr. Robert Weigel – insbesondere mit den Mitarbeitern Marc Reichenbach und Amelie Hagelauer – sowie des Fraunhofer IIS in Erlangen und Dresden in einem Anwendungsbeispiel simuliert. Dafür erhielt der Verbund beim Pilotinnovationswettbewerb „Energieeffiziente KI-Systeme“ des Bundesforschungsministeriums den ersten Preis. Das Modell erkennt anhand von laufenden EKG-Daten Herzrhythmusstörungen und Vorhofflimmern mit mindestens 90 Prozent Genauigkeit und verbraucht dabei am wenigsten Energie.

Großer Serverraum.
(Bild: shutterstock.com/sdecoret)

Mit dem Preisgeld werden als Nachfolgeprojekt auch neue Softwarewerkzeuge bereitgestellt. Sie verbessern das Training der KI so, dass die effiziente Zeitreihenanalyse kontinuierlicher Datenströme in anderen Anwendungen eingesetzt werden kann. Gleichzeitig wird die Energieminimierung mitberücksichtigt. Fey sieht viele Nutzungsmöglichkeiten, sowohl in der Medizin als auch bei der Industrieautomatisierung, beispielsweise im industriellen Qualitätsmanagement.

Die Bedeutung für die Energieeinsparung schätzt Fey nüchtern ein: „Kleinvieh macht auch Mist.“ Einzeln betrachtet, sei die hohe Energieeinsparung in absoluten Werten gering. Kommen aber Sensoren mit solchen Techniken massenhaft zum Einsatz, ergibt sich in Summe eine relevante Einsparung.

Solch innovativen Ansätze weisen einen Weg aus dem Dilemma von mehr Digitalisierung oder mehr Nachhaltigkeit. Denn auf dem Weg zum CO2-emmissionsarmen Globus ist eine abgebremste Digitalisierung keine Option. Vielmehr geht es darum, den Vormarsch digitaler Anwendungen von einem mitwachsenden Treibhausgas-Ausstoß abzukoppeln.

Über den Autor

Thomas Tjiang arbeitet seit seinem Magister-Studium an der FAU als freier Journalist. Seine Themenschwerpunkte sind Unternehmen, Wirtschaft und Soziales.


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