Die Geheimniskrämer

Regal mit Ordner, die mit "Staatsgeheimnisse" beschriftet sind, eine Hand, die einen Ordner rauszieht
Transparenz ist in einer Demokratie ein hohes Gut. Das heißt aber nicht, dass sich der Staat in alle Karten blicken lässt. (Bild: Uwe Niklas)

Über die Frage, wie viel Geheimnisse der Staat vor seinen Bürgerinnen und Bürgern haben darf – und welche Anreize Insider dazu bringen, geheime Missstände anzuprangern.

von Michael Kniess

Es war der 1. Januar 2006, an dem sich womöglich viele Bundesbürgerinnen und -bürger verdutzt die Augen gerieben haben. Denn plötzlich sollten sie Freiheiten bekommen, die sie längst schon zu besitzen glaubten. Das neu in Kraft getretene Informationsfreiheitsgesetz (IFG) gewährte ihnen einen „voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden“. Durch dieses neue Recht wurde vielen erst klar, in welchem Umfang sich der Staat ihnen gegenüber bisher in Schweigen gehüllt hatte. Sämtliche Verwaltungsvorgänge und Datenerhebungen staatlicher Behörden waren bis dato grundsätzlich vertraulich, also geheim.

„Das entsprach einer jahrhundertealten Tradition der Geheimhaltung in der Regierung, der Verwaltung und in den Behörden“, betont Prof. Dr. Bernhard W. Wegener. „Deren Aktenbestände waren grundsätzlich nicht öffentlich, und nur ausnahmsweise konnte man diese einsehen.“ Erst unter dem Einfluss der Aufklärung verlangten die Bürgerinnen und Bürger vom Staat, seine Geheimnisse zu lüften. Gerichtsverhandlungen sollten öffentlich geführt und die Finanzen des Staates offengelegt werden, das Parlament öffentlich tagen.

„Darin äußern sich Machtverhältnisse. Die Regierungsparteien sind ohnehin gut informiert, und ihnen ist nicht an einer ungefilterten Darstellung ihrer Tätigkeit gelegen.“

Wenig Wissen für die Opposition

„Die repräsentative parlamentarische Demokratie und ihr Anspruch auf Transparenz sind das Resultat des Kampfes gegen das Herrschaftsinstrument Staatsgeheimnis, eines Kampfes, der noch lange nicht gewonnen ist“, sagt der Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der FAU. Denn zwar wurde dem Staat Stück für Stück ein Geheimnis nach dem anderen abgezwungen, doch schaut man genauer hin, sind überall Reste des geheimen Staates zu sehen: Verbeamtete Personen haben vor Gericht nach wie vor das Recht, ihre Aussage zu verweigern. Gesetze werden bei uns noch immer im Geheimen gefertigt, in den Ministerien und in den nicht-öffentlich tagenden Bundestagsausschüssen.

„Das ist natürlich auch dort ein Aspekt von Herrschaft. Es ist kein Wunder, dass immer die Oppositionsparteien auf Öffentlichkeit drängen und die die Regierung tragenden Mehrheitsfraktionen gerade dies nicht wollen“, sagt Wegener. „Darin äußern sich Machtverhältnisse. Die Regierungsparteien sind ohnehin gut informiert, und ihnen ist nicht an einer ungefilterten Darstellung ihrer Tätigkeit gelegen.“ Während die Bürgerinnen und Bürger hierzulande einen Anspruch auf den Zugang zu Aktenbeständen und den darin befindlichen Informationen haben, sieht es für Abgeordnete des Bundestags anders aus. Sie dürfen Fragen an die Bundesregierung richten, erhalten auch Antworten – aber keine Einsicht in die eigentlichen Akten.

Wissen ist Macht

Prof. Wegener vertritt die grüne Bundestagsfraktion bei ihrer Klage auf generelle Akteneinsicht für Abgeordnete und Bundestagsfraktionen. Er betont: „Die Beschränkung auf das Fragerecht ist in meinen Augen ein schweres Defizit, denn gerade die Abgeordneten der Oppositionsparteien haben in unserer Demokratie die wichtige Aufgabe, die Arbeit der Regierung zu kontrollieren.“ Das Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führt Bernhard W. Wegener am Beispiel von zwei konkreten Fällen.

Zum einen geht es um die Kreditvergabe der Bundesregierung an die Fluggesellschaft Air Berlin, um deren Pleite abzuwenden. „Die Bundesregierung stützt sich bei der Vergabe auf Gutachten, die sie von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften hat anfertigen lassen“, sagt Prof. Wegener. „Diese Gutachten würden die Abgeordneten gerne sehen, um kontrollieren zu können, inwieweit diese Kreditvergabe gerechtfertigt gewesen ist. Doch die Bundesregierung verweigert den Einblick.“

Ordner im Regal, beschriftet mit "Staatsgeheimnisse" und "Öffentlich"
Dank Informationsfreiheitsgesetz können Bürgerinnen und Bürger in Deutschland bei Behörden Auskünfte zu Vorgängen verlangen – zumindest auf Bundesebene. In Landes- und Kommunalangelegenheiten hingegen entscheiden die Landesparlamente. Auf dieser Ebene gibt es nur in zwölf Bundesländern entsprechende Gesetze. (Bild: Uwe Niklas)

Der zweite Aufhänger ist die Kostenexplosion beim Verkehrs- und Städtebauprojekt „Stuttgart 21“. „Es gibt neue Kostenschätzungen, von denen die Abgeordneten annehmen, dass diese eine weitere Kostensteigerung belegen. Aber auch diese werden ihnen vorenthalten“, kritisiert Wegener. „Wissen ist Macht“ ­– diese einfache Formel werde anhand dieser Beispiele einmal mehr auf den Punkt gebracht. „Die Arbeit der Opposition läuft im Wesentlichen über das Wissen. Wenn ihr nicht zur Kenntnis gelangt, welche Defizite bestehen und an welchen Stellen sich Skandale auftun, kann sie keine wirksame Kritik üben und ist wie gelähmt.“

Was Whistleblower motiviert

Ein Instrument, dieser Lähmung durch Nichtwissen vorzubeugen, ist der Einsatz von Whistleblowern. „Personen, die für die Allgemeinheit wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang an die Öffentlichkeit bringen, sind allein deshalb unerlässlich, weil man sonst womöglich gar nicht auf die Idee käme, dass etwas faul sein könnte, und entsprechende Anfragen gar nicht gestellt würden“, betont Prof. Dr. Klaus Ulrich Schmolke. Missstände oder Verbrechen wie Korruption, Insiderhandel, Menschenrechtsverletzungen oder Datenmissbrauch werden nun einmal nicht auf dem Silbertablett präsentiert.

Gemeinsam mit Prof. Dr. Verena Utikal hat der Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht vor diesem Hintergrund unter anderem wissenschaftlich in einem Labor-Experiment in verschiedenen Szenarien untersucht, welche Anreize besonders gut funktionieren, damit Menschen zu Whistleblowern werden. Die innovative und richtungsweisende wissenschaftliche Zusammenarbeit von Jurist und Ökonomin der FAU hat ein bemerkenswertes Ergebnis hervorgebracht. „Die eine Erkenntnis, dass Belohnungsprogramme in Form von finanzieller Zuwendung wohl das wirkungsvollste Instrument zur Steigerung der Meldebereitschaft potenzieller Hinweisgeber sind, hat mich als Ökonomin wenig überrascht“, sagt Prof. Dr. Verena Utikal.

Wahrnehmung positiv verändern

Erstaunlich ist für die Inhaberin der Juniorprofessur für Verhaltensökonomik jedoch der Befund, dass sich im Labor in selber Weise wie die finanziellen Anreize die Wirksamkeit des reinen Appells nachweisen ließ. „Die Meldebereitschaft der Testpersonen stieg signifikant an, allein dadurch, dass diese gebeten wurden, zu berichten, falls sie entsprechendes Fehlverhalten mitbekommen haben“, sagt Utikal. Für Schmolke ist darüber hinaus ein weiterer Anreizmechanismus von Bedeutung: „Im Fokus der gegenwärtigen gesetzgeberischen Aktivitäten steht der Hinweisgeberschutz. Quasi auf der Zielgeraden der vergangenen Legislatur hat das Europaparlament eine Whistleblower-Richtlinie verabschiedet, die die Mitgliedsstaaten verpflichtet, Hinweisgeber zu schützen.“

„Das Whistleblowing ist ein wertvoller Baustein effektiver Rechtsdurchsetzung und fördert insofern die soziale Wohlfahrt.“

Der FAU-Wissenschaftler sieht damit eine entscheidende Kontroverse verbunden: „Ich befürchte, dass man den Schutz womöglich auch für die Meldung von bloß unethischem, nicht aber rechtswidrigem Verhalten öffnet. Whistleblowing würde damit zu einem politischen oder weltanschaulichen Kampfinstrument werden.“ Für Prof. Schmolke ist es aber vielmehr ein Instrument, das einem anderen Zweck dienen soll: der Rechtsdurchsetzung. „Es geht darum, Entscheidungen durchzusetzen, die bereits vorher im politischen Prozess klar als rechtswidrig definiert worden sind, und nicht um Fragen unangemessenen ethischen Verhaltens, die erst noch politisch ausgefochten werden müssen. Alles andere würde der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Whistleblowings einen Bärendienst erweisen.“

Whistleblowing ist für ihn nicht nur deshalb eine wichtige Regelungsaufgabe: „Selbst dort, wo eine Meldung per se legitim und in der Sache berechtigt ist, muss eine Whistleblower-Regelung bemüht sein, die hiermit verbundenen Kosten möglichst gering zu halten und die berechtigten Interessen Dritter zu schonen. Angesprochen sind damit etwa Belange des Datenschutzes, aber vor allem auch die Frage, ob ein potenzieller Hinweisgeber dazu angehalten werden sollte, im Interesse der Betroffenen und zur Vermeidung unnötigen Schadens seine Informationen zunächst an interne Stellen weiterzuleiten, bevor er sich an die zuständigen Behörden oder gar an die Öffentlichkeit wendet.“

Dieser Vorrang des internen Whistleblowings war einer der Hauptstreitpunkte im Gesetzgebungsverfahren der Whistleblower-Richtlinie. Eine Richtlinie, von der Prof. Utikal und Prof. Schmolke hoffen, dass sie einen wichtigen Beitrag zu einem gemeineuropäischen Kulturwandel leistet, indem sie die Wahrnehmung des Whistleblowings positiv verändert. „Denn das Whistleblowing ist ein wertvoller Baustein effektiver Rechtsdurchsetzung und fördert insofern die soziale Wohlfahrt“, betont Prof. Dr. Verena Utikal. „Hätte es Edward Snowden nicht gegeben, wüsste man bis heute nichts von der globalen Überwachungs- und Spionageaffäre der NSA.“ Kein Wunder, denn die Macht kommuniziert nicht gerne.

Über den Autor

Michael Kniess arbeitet nach seinem Studium der Politikwissenschaft und Soziologie an der FAU und nach Abschluss eines journalistischen Volontariats als freier Journalist und Autor. Er schreibt unter anderem für heute.de, die Welt am Sonntag und die Nürnberger Zeitung.


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