„Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht“

Prof. Dr. Peter Dabrock, Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie (Ethik) an der FAU. (Bild: FAU/Giulia Iannicelli)
Prof. Dr. Peter Dabrock, Lehrstuhlinhaber für Systematische Theologie (Ethik) an der FAU. (Bild: FAU/Giulia Iannicelli)

Professor Peter Dabrock über Wissenschaftskommunikation

Professor Peter Dabrock nicht nur renommierter Theologe und Ethikexperte, sondern als streitbarer Wissenschaftskommunikator ein wichtiger Ansprechpartner für Medien im ganzen Land. Unter anderem für dieses Engagement wird er auf dem Dies academicus der FAU am 4. November mit der Verdienstmedaille der FAU geehrt.

Professor Dabrock, es vergeht kaum eine Woche, in der Sie nicht mit Medien sprechen: von FAZ über die Erlanger Nachrichten bis zum Spiegel. Bei Phoenix, Anne Will und Deutschlandfunk, überall waren Sie schon zu Gast. Was motiviert sie, neben Ihrer Arbeit als Wissenschaftler, dafür Zeit zu investieren, in der Sie auch Anträge schreiben oder forschen könnten?

Für mich als Ethiker gehören Forschung, Lehre und Wissenschaftskommunikation genuin zusammen – wie vermutlich für sehr viele Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftler/-innen. Denn in den verschiedenen Facetten unseres Traumberufs geht es doch darum, die Gesellschaft besser zu verstehen. Und warum will man sie besser verstehen? Damit das Leben für möglichst viele lebenswerter wird – im Übrigen nicht nur für die Menschen. Aber mir persönlich war und ist wichtig, über die Wissenschaftskommunikation Forschung und Lehre nicht zu vernachlässigen. Nur so ist man glaubwürdig.

Dies academicus 2023Der Dies academicus 2023

Die Feier zum 280. Jubiläum der FAU findet am Samstag, 4. November 2023, um 11 Uhr (Einlass ab 10 Uhr) im Großen Saal der Meistersingerhalle, Schultheißallee 2-4, Nürnberg, statt. Alle, die mitfeiern möchten, sind herzlich eingeladen.

www.dies.fau.de

Gerade in Ihrer Rolle als Vorsitzender des Ethikrats haben Sie häufig zu polarisierenden Themen, wie Forschung an menschlichen Embryonen, Organspende, Sterbehilfe, grüne Gentechnik oder Tierversuche und vielem mehr Stellung bezogen – und dafür Kritik oder sogar Anfeindungen erlebt. Wie gehen Sie mit Gegenwind um?

Zunächst: Meine Nachfolgerin im Amt des Ethikratsvorsitzes, Alena Buyx, hat während der Pandemie bis heute in einem ganz anderen Maße Anfeindungen erlebt und sich nicht abhalten lassen, sich in ihrer Funktion zu äußern. Da bin ich vergleichsweise glimpflich davongekommen, auch wenn ich – insbesondere auf ehemals Twitter, heute X – solche Shitstorms kenne. Dass einen das überhaupt nicht tangieren würde, wäre gelogen. Aber ich bin überzeugt, dass man nicht nur ob Wahrheitssuche und Gesellschaftsgestaltung, sondern auch ob der Öffentlichkeitskultur der Hassrede nicht weichen darf. Um dagegen resilient zu bleiben, hilft im Extremfall auf Durchzug zu stellen und vor allem mit lieben Menschen sprechen zu können. Aber umgekehrt sollte man auch so selbstkritisch sein und sich fragen: Gibt es diesseits der üblen Sprache so mancher Posts nachvollziehbare Gründe, warum die Erregungskurve hochging. Als Ethiker sollte man ja auch versuchen, sich neben sich zu stellen.

Was haben Sie als Wissenschaftskommunikator über sich / die Wissenschaft / die Öffentlichkeit gelernt?

Alle kennen es: In der Theorie hat man Sachen zigmal durchgespielt, in der Praxis stellen sich viele Sachen anders dar – und ich ergänze gegenüber einem Theorie-Bashing: Dennoch war die Theorie oft hilfreich. Konkret mit Blick auf Ihre Frage erstens: In all diesen Debatten sind von Seiten vieler Stakeholder (Wissenschaft, Medien, Politik, NGOs usw.) Interessen im Spiel – die darf es geben, aber sie sollten sichtbar werden (das gilt im Übrigen auch für einen selbst). Umgekehrt: Wer Interessen hat, verliert nicht das Recht, Gründe für den eigenen Standpunkt zu liefern und überzeugen zu können. Da wird oft zur Verunglimpfung anderer (oft nur mit Blick auf andere Positionen) ein falscher Gegensatz aufgebaut. Zweitens: Man sollte nicht nur wissen, wo man Expertise hat, sondern auch wo nicht. Das gilt fachlich: Nur weil man in einem Feld Experte ist oder eine bedeutende Funktion hat, ist man nicht in jedem Feld kompetent. Auch wenn zu viele Medien gerne auf bekannte Gesichter zurückgreifen und man entsprechende Anfragen erhält. Und das gilt auch für die jeweiligen Einsatzgebiete: Wer in einer Talkshow gut performt, muss kein guter Podcast-Gesprächspartner sein. Kurzum: Erkenne Deine Grenzen! Drittens: Rechne damit, dass auch das vermeintlich unbedeutendste Gegenüber Wichtiges sagen kann. Mich hat immer ein Satz aus der Regel Benedikts, eines der Gründungsdokumente Europas, ermuntert. Benedikt, dessen Mönchsregel schon eine klare Hierarchie im Kloster „erst die Älteren, dann die Jüngeren“ propagiert, schreibt: „Bisweilen gibt der Herr einem Jüngeren zu verstehen, was gut ist.“ Kurzum: Lass Dich überraschen, sei aufmerksam. An unerwarteten Stellen kann es neue Einsichten geben. Gerade in Situationen, in denen Du es nicht erwartest, erschließt sich plötzlich etwas. Ich nehme daher mein Gegenüber, sei es ein Publikum in einer Podiumsdiskussion, eine Podcasterin, eine Interviewerin, ein Fragensteller nach einem Vortrag ernst, nicht strategisch, sondern weil ich immer auch als „Wissenschaftskommunikator“ fachlich und kommunikativ ein Lernender bleiben möchte.

Verkürzen, zuspitzen, vereinfachen – das sind drei Grundregeln des Journalismus, schließlich sollen Nicht-Experten verstehen, worum es geht. Die Wissenschaft hingegen will Dinge differenziert und in ihrer Komplexität betrachten. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?

Zunächst sollte man sich eingesehen: Ja, das ist eine Spannung. Und dann: Sie nicht einfach aufzulösen. Wahr ist doch, was die Fantastischen Vier singen: „Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht.“ Das gilt für die klassischen Naturwissenschaften und die Gesellschafts- und Kulturbeobachtenden wie den Normwissenschaften wie eben der Ethik. Für die Wissenschaftskommunikation bedeutet dies allgemein: Nach innen wie außen sollte ein falscher Wissenschaftsbegriff, der mit dem schlussendlich naiven Verständnis von Wissenschaft als Wahrheitsbringerin daherkommt, zurückgewiesen werden. Karl Popper hat den wissenschaftlichen Prozess – noch besser wäre vielleicht: das wissenschaftliche Arbeiten, weil es einen einlinigen Fortschrittsprozess selten zu beobachten gibt – als Falsifizierungsmaschinerie begriffen. Empirische Forschungsergebnisse werden ständig überholt, neue Theorierahmen aufgebaut, die manchen neu, anderes alt aussehen lassen; und dann ist auch der Weg von grundlagentheoretischen, aber auch anwendungsbezogenen Forschungen zu politischen Entscheidungen weit. Kurzum: Wissenschaftskommunikation sollte deutlich machen: Wir verdanken den Wissenschaften unglaublich viel, aber Wissenschaft ist nicht das ganze Leben. Politik und Gesellschaft sollen nicht „der“ Wissenschaft folgen, weil es eben in der auch viele einander konkurrierende Ansätze gibt, aber sie sollte wissenschaftlich informiert agieren – auch wenn der jeweilige Wissenschaftsbezug oft nicht so eindeutig ist, wie es viele erwarten. Kurzum: Gute Wissenschaftskommunikation sollte den Segen der Wissenschaft bewerben, aber kein naives Bild von Wissenschaft zeichnen. Für die Ethik ist daher der legendäre Satz Niklas Luhmanns leitende: „Erste Aufgabe der Ethik: Warnung vor Moral.“ Das heißt konkret: Ethik hat gegenüber vorschnellen Moralisierungen, Schwarz-Weiß-Zeichnungen moralischer oder politischer Konflikte zu warnen und stattdessen eine Differenz- und Zweideutigkeitssensibilität zu stärken. Auf deren Grund darf sie dann sehr wohl auch Orientierung anbieten. Aber gegenwärtig muss aus vielen Debatten vor allem erst mal „Luft rausgelassen werden.“

Gerade Ihre jungen Wissenschaftlerkolleg/-innen fühlen sich häufig unsicher im Umgang mit Medien. Was können Sie ihnen raten?

Traut Euch. Ich bewundere beispielsweise wie die Nachwuchswissenschaftler/-innen, allen voran meine Wissenschaftlichen Mitarbeitenden Tabea Ott, Max Tretter und David Samhammer im Kontext unseres Sonderforschungsbereichs EmpkinS ihre Forschungsprojekte in einem Science-Slam laienverständlich kommuniziert haben. Auch die Lange Nacht der Wissenschaften ist jedes Jahr ein Highlight gelungener Wissenschaftskommunikation. Da kann man sich testen.

Hätten Sie ein paar Tipps für junge Wissenschaftskommunikatoren/-innen?

Statt einzelner Tipps möchte ich den Blick auf die angemessene Einstellung lenken: Hinter aller Wissenschaftskommunikation sollte vor allem der Grundgedanke stehen: Wissenschaften und vor allem Wissenschaftler/-innen sind in die Gesellschaft eingebunden; sie haben spezielle Aufgaben und Kenntnisse, aber das gilt in anderer Hinsicht für eine Schreinerin und eine Pflegekraft genauso. In und aufgrund der speziellen Aufgabe kommt Wissenschaften und vor allem Wissenschaftler/-innen Verantwortung zu. Anders formuliert: die Gesellschaft hat ein Recht zu erfahren, was in den Laboren und Büros an der Uni passiert. Für Wissenschaften und vor allem Wissenschaftler/-innen, die sich eingebettet in die Gesellschaft sehen, sollte daher die Verantwortungsbereitschaft, die von einer Hörbereitschaft ausgeht, ein genuines Anliegen sein. Mit dieser Grundeinstellung ist meines Erachtens der wichtigste Schritt in gelungene Wissenschaftskommunikation getan. Wenn man die richtige Einstellung hat, lassen sich auch Techniken leichter erlernen.

Und zuletzt: Welche Frage wollten Sie in einem Interview schon immer mal beantworten, wurde Ihnen aber nie gestellt?

Die folgende Frage habe ich noch nicht bekommen: „Welche zwei Bücher (zwei: weil davon auszugehen ist, dass Sie in jedem Fall als erstes die Bibel nennen) würden Sie auf die berühmte einsame Insel mitnehmen?“ Und meine Antwort wäre: „Genau: neben der unverzichtbaren Bibel würde ich Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“ mitnehmen. Der ist nicht nur wahnsinnig lang (was auf der einsamen Insel ein Vorteil ist), sondern präsentiert in narrativer, wie triefend ironischer Form ein Panoptikum der Anthropologie und Bild der Moderne: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Aber eben auch mit einem der berühmtesten Sätze des Werkes: „Es könnte alles wahrscheinlich auch anders sein.“ – Und es zeigt zugleich nüchtern, warum es so schwer ist, diesem Impuls Taten folgen zu lassen.

Prof. Dr. Peter Dabrock ist seit 2010 Professor für Systematische Theologie (Ethik) am Fachbereich Theologie und war von 2016 bis 2020 Vorsitzender des Deutschen Ethikrates. 2017 ist er als erster Theologe in die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) aufgenommen worden. 2022 wählten ihn die acatech-Mitglieder in ihr Präsidium. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Ethik im Gesundheitswesen, mit Fragen der Biomedizin und Bioethik sowie mit ethischen Fragen der künstlichen Intelligenz.