Autoimmun

KI-generiertes Bild: Das Immunsystem, ein komplexes Netzwerk aus Organen, Zellen und Proteinen, welches den Körper gegen Infektionen verteidigt.
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Über das feingetunte Netzwerk unserer Immunabwehr - und die Suche nach Therapien gegen Autoimmunerkrankungen

Unersetzliches Risiko

Ohne ein gut funktionierendes Immunsystem würden Menschen nicht lange leben, weil schon ein banaler Schnupfen tödlich wäre. Da in der Natur immer neue und oft auch sehr raffinierte Erreger entstehen, gibt es seit Urzeiten einen Wettlauf zwischen Angriff und Verteidigung. In dieser Auseinandersetzung haben die Organismen nur dann gute Chancen, wenn sie auf alle heutigen und zukünftigen Attacken gut vorbereitet sind. Daher ist diese Abwehr nicht nur in uns Menschen, sondern auch in sehr vielen Tieren, ein sehr kompliziertes, hoch flexibles System aus unterschiedlichen Komponenten. Diese sind fast überall im Körper unterwegs, achten auf mögliche Gefahren und reagieren auf eine potentielle Bedrohung so schnell wie möglich.

Fehler in der Abwehr

Solche komplexen Systeme funktionieren zwar meist sehr gut, es können sich aber durchaus auch Fehler einschleichen. So muss das Immunsystem zwar gefährliche Erreger bekämpfen, gleichzeitig aber sollte es seine scharfen Waffen nicht gegen den eigenen Organismus einsetzen. Genau das aber kann bei einigen Krankheiten durchaus passieren und hat dann oft erhebliche Konsequenzen. Eine davon ist die „Colitis“ genannte chronische Entzündung des Darms, an der meist Jugendliche und junge Erwachsene erkranken, die dann häufig ein Leben lang erheblich leiden. In Deutschland sind bis zu 500.000 Menschen betroffen. Irgendetwas geht im komplexen Räderwerk des Immunsystems schief, und die Betroffenen haben während eines Krankheitsschubs zum Teil 20-mal am Tag blutigen Stuhlgang und verlieren oft einiges Blut. Einer geregelten Tätigkeit können manche dann kaum noch nachgehen – und das häufig vom Beginn ihres Erwachsenenlebens an.

Behandelt werden diese Erkrankungen bis heute mit dem Wirkstoff Kortison, der zwar die Entzündungen dämpft und so die Symptome lindert, aber gleichzeitig auch das gesamte Immunsystem erheblich schwächt. Normalerweise relativ harmlose Infektionen können dann zu einer tödlichen Gefahr werden. Viel besser wäre es dagegen, nur auf den Ast des Immunsystem zu zielen, der für das Leiden verantwortlich ist. Der Rest könnte dann normal weiterarbeiten und den Körper schützen. Das klappt aber nur, wenn man weiß, wie unsere Abwehr genau funktioniert und was bei einer solchen Auto-Immunkrankheit wie der Colitis schiefläuft.

Weit verzweigtes System

Diesen Ansatz verfolgen die Forschungsteams am Universitätsklinikum Erlangen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) seit Jahrzehnten mit großem Erfolg. Dabei stellen sie immer wieder fest: Ohne Tierversuche funktioniert diese Forschung aus einem einfachen Grund nicht: Die Immunsysteme von Maus und Mensch bestehen gleichermaßen aus einer bunten Vielfalt von Biomolekülen und Zellen, deren Funktion nur in einem komplexen Verbund der unterschiedlichen Gewebe verstanden werden kann. Und das vor allem, weil eine Mehrzahl an Organen das Immunsystem stark beeinflusst.

So bilden sich im Knochenmark des Brustbeins und des Beckens Leukozyten, die in der Umgangssprache als „weiße Blutkörperchen“ bekannt sind. Dabei handelt es sich um eine Vielzahl unterschiedlicher Zellen, die Bakterien, Viren, Pilze, Würmer und andere Erreger, aber auch Giftstoffe und Tumorzellen bekämpfen und unschädlich machen sollen. Ein erheblicher Teil dieser weißen Blutzellen erhält dann in verschiedenen Organen des Körpers von den Lymphknoten und dem Thymus, über die Milz und die Mandeln bis hin zum Knochenmark eine Art Grundschul-Ausbildung. Dort lernen sie vor allem eines: welche Zellen gehören zum eigenen Körper und welche Zellen sind zwar fremd, aber kaum gefährlich. Alle diese offensichtlich harmlosen Begegnungen lässt man in Ruhe. Es sei denn, es handelt sich um eine gefährliche Tumorzelle, die zwar aus dem eigenen Organismus stammt, diesem aber gefährlich werden kann.

Fein getuntes Netzwerk

Das klingt nicht nur sehr kompliziert, sondern ist es auch. Obendrein patrouillieren weiße Blutkörperchen in nahezu allen Teilen des Organismus und schauen dort nach dem Rechten. Das Immunsystem ist also über den gesamten Körper verteilt, allerdings keineswegs gleichmäßig: Der Darm gilt als größtes Organ der Körperabwehr und enthält rund 70 bis 80 Prozent aller Immunzellen. Obendrein wimmeln dort Heerscharen von Mikroorganismen, die mit Menschen und Tieren gleichermaßen eng zusammenleben und das meist zum gegenseitigen Nutzen aller Beteiligten. Dieser „Mikrobiom“ genannte Mikrokosmos im Darm wiederum kann in bestimmten Fällen das Immunsystem ankurbeln, das dann zum Beispiel die vermehrte Bildung von Schleim veranlasst. Dort bleiben gefährliche Erreger kleben, die so ihr Ziel gar nicht erreichen.

Viele dieser Komponenten können zwar in Zellkulturen und manchmal auch in aus Stammzellen entwickelten Mini-Organen untersucht werden. Doch um zu verstehen, wie diese Einzelteile miteinander vernetzt sind, wie sie zusammenarbeiten und was dieses fein getunte Netzwerk aus dem Gleichgewicht bringen kann, reichen Zellkulturen leider bei weitem nicht. Erkenntnisse über alle Vorgänge, die bei einer Entzündung eine Rolle spielen, erhält man nur im Tier. Nur in solchen Experimenten lässt sich untersuchen, weshalb das Immunsystem bei chronischen Entzündungen nicht wieder in den Normalzustand zurückkehrt.

Wirkstoff gegen Amoklauf

Aus solchen Versuchen konnte man vor einigen Jahren schließen, dass der Tumornekrosefaktor-Alpha oder kurz „TNF-α“ bei Entzündungen eine wichtige Rolle spielt. TNF α ist offensichtlich ein von Immunzellen produzierter Signalstoff, der andere Zellen des Immunsystems auf Trab bringt und so die Entzündung befeuert. Wirkstoffe, die diese Substanz blockieren, verschaffen auch Erleichterung, wenn zum Beispiel bei einer Colitis das Immunsystem im Darm Amok läuft. Ohne Tierversuche aber wäre diese Therapie wahrscheinlich nie entdeckt worden.

Ebenfalls eine zentrale Rolle bei Entzündungen spielen „Integrine“: Sie machen die Wände von Gefäßen so durchlässig, dass Immunzellen durchschlüpfen können, um zum Beispiel auf der anderen Seite Erreger zu bekämpfen. Läuft im Immunsystem etwas schief, und die Entzündungen halten auch dann an, wenn weit und breit keine gefährlichen Erreger in Sicht sind, kann man mit Anti-Integrinen die Gefäßwände schließen und so die Entzündung lindern. Auch diese in der Praxis erprobte Methode wurde zunächst im Tierversuch entdeckt.

Ewiger Wettlauf

Die daraus entwickelten Therapien haben allerdings oft einen Haken. Sie wirken nur bei einem Teil der Betroffenen, und bei einigen Entzündungshemmern lässt die Wirkung nach wenigen Jahren nach. Nur gut, wenn die Forschung dann weitere Schalter im Immunsystem entdeckt, die bei solchen Entzündungen wichtig sind. Legt man diese Schalter mit einem entsprechenden Wirkstoff lahm, kann man eine Colitis zumindest bei einem Teil der Betroffenen wieder an der Wurzel behandeln. Der Wettlauf zwischen Forschung und einem Immunsystem, das weit über sein Ziel hinausschießt und im gesunden Körper immensen Schaden anrichtet, geht so in weitere Runden. Für die man aktuell noch Tierversuche braucht.

Nur in solchen Experimenten kann die Forschung entschlüsseln, was bei einer ganzen Reihe von Autoimmunkrankheiten schief gegangen ist. Dazu gehört zum Beispiel mit Lupus erythematodes ein Leiden, bei dem bestimmte Teile des Immunsystems, die sogenannten „B-Zellen“ die Kerne und damit die Erbsubstanz der eigenen Zellen angreifen. Betroffen können fast alle Organe des Körpers sein, die Krankheit kann also durchaus lebensbedrohlich sein. Weit überwiegend sind Frauen betroffen, eine Heilung war bisher nicht in Sicht. Bis im Uniklinikum Erlangen und in der FAU sogenannte „T-Zellen“ und damit ein anderer Teil des Immunsystem so maßgeschneidert wurde, dass diese T-Zellen Amok laufende B-Zellen zielsicher erkennen und eliminieren, womit sie die Krankheit stoppen können – erstmals ist eine Heilung in Sicht. Und wieder wurden die Grundlagen in Tierversuchen erarbeitet.

Ein ähnlicher Erfolg gelang der FAU-Forschung auch bei der besonders grausamen IPEX-Erbkrankheit, die nur Jungen betrifft. Ihnen fehlt von Geburt an ein FoxP3-Protein, ohne das wiederum keine T-Helfer-Zellen gebildet werden können. Diese sorgen dafür, dass die Zellen des Immunsystems kein Gewebe des eigenen Körpers zerstören. Ohne diese Zellen aber passiert genau das: an verschiedenen Stellen des Organismus entstehen Entzündungen, die sich kaum bremsen lassen. Die Lebenserwartung dieser Kinder war sehr gering, und die betroffenen Eltern waren verzweifelt.

Bis es der FAU-Forschung gelang, in Versuchen mit Mäusen die Übeltäter im Immunsystem zu identifizieren und aus dem Verkehr zu ziehen. Mit dieser Therapie lassen sich auch bei Menschenkindern die Symptome stark lindern und die Betroffenen können mit einer Knochemarkstransplantation geheilt werden, die bei den starken Entzündungen ohne eine solche Therapie nicht möglich wäre.

Über den Autor

Roland Knauer ist promovierter Naturwissenschaftler, er lebt und arbeitet als Journalist und Autor mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften in der Marktgemeinde Lehnin. Unter www.naturejournalism.com stellt er sich vor.

Tierexperimentelle Forschung und Tierschutz an der FAU

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