Erblicher Veitstanz

Abbildung eines Gehirns
Bild: Adobe Stock/Carlos

Auf der Suche nach Wirkstoffen gegen Chorea Huntington

Chorea Huntington ist wohl eine der schrecklichsten Erbkrankheiten, unter der allein in Deutschland rund 10.000 Menschen leiden. Meist zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr treten die ersten Symptome auf. Ohne es zu wollen, schneiden die Betroffenen später unverhofft Grimassen. Als wenn sie in Ekstase tanzen würden, schleudern sie Arme und Beine wild und unkontrolliert umher. Daher auch der deutsche Name „Veitstanz“. Rund 15 Jahre nach den ersten Symptomen erlöst der Tod viele von diesem Leiden. Die Ursache ist eine Veränderung im Erbgut, die häufig von einem Elternteil an einige Kinder weitergegeben wird. Ob ein Mensch diese Veränderung hat, lässt sich seit Ende des 20. Jahrhunderts bereits vor der Geburt anhand des Fruchtwassers feststellen, in dem der Embryo liegt. Eine Heilung gibt es bisher nicht.

In den Laborräumen der Universitätsklinik Erlangen und der FAU aber kristallisiert sich in den letzten Jahren ein Hoffnungsschimmer heraus. Ursache des Leidens ist ein Eiweiß, das durch den Defekt im Erbgut verändert ist. Dadurch zerstört es im Gehirn mit der Zeit einen Bereich, der für die Steuerung der Muskeln und für die Geisteskräfte gleichermaßen wichtig ist. Weshalb aber treten die Symptome oft erst im mittleren Lebensalter auf, während die Huntington-Erbeigenschaft und das nach dieser Vorlage hergestellte Eiweiß schon lange vorher aktiv sind und offensichtlich bereits im wachsenden Embryo eine wichtige Rolle spielen?

Untersuchen lassen sich diese Krankheit und vor allem ihre frühen Vorstufen, während derer das Leiden möglicherweise noch beeinflusst werden kann, allerdings nur in einem Gehirn, das sich viele Jahre lang entwickelt. Dieses Organ wiederum ist viel zu komplex, um es im Labor aus Zellen zu züchten und zu untersuchen. Obendrein wachsen solche Zellkulturen nicht jahrelang und die Entwicklung der Krankheit könnte nicht beobachtet werden. Um die Grundlagen und so auch mögliche Behandlungen dieser schrecklichen Krankheit zu untersuchen, gibt es daher keine Alternative zu Tierversuchen. Bei denen dann auch schon einmal ein Hoffnungsschimmer auftauchen kann.

Dieser wiederum basiert auf Verhaltensänderungen, die bei Huntington-Betroffenen oft schon deutlich vor den ersten Muskelstörungen auftreten. In den Erlangener Labors werden daher Ratten gezüchtet, deren Erbgut ähnlich wie bei menschlichen Huntington-Betroffenen verändert ist. Schon die neugeborenen Rattenbabys werden dann unter anderem mit Detektoren untersucht, die eigentlich konstruiert wurden, um die Ultraschallrufe von Fledermäusen aufzuzeichnen. In diesen hohen Tönen, die das Ohr eines Menschen gar nicht wahrnehmen kann, rufen die Rattenbabys nämlich, wenn sie ihre Mutter vermissen. Beim Huntington-Nachwuchs aber fällt dieser „Mutter, wo bist Du?“-Ruf viel schwächer aus als bei gesunden Ratten, verrät der Fledermaus-Detektor.

Gleichzeitig gehen die Huntington-Rattenbabys größere Risiken ein als ihre nichtbelasteten Altersgenossen. In den Gehirnen der kleinen Nagetiere mit der erblichen Veitstanz-Veranlagung gibt es auch deutliche Veränderungen in der Aktivität von Erbeigenschaften: Vor allem der Haushalt des wichtigen Gehirn-Signalstoffes Dopamin scheint gestört zu sein. Offensichtlich lösen diese Veränderungen in der Biochemie also auch Verhaltensänderungen aus. Solche Zusammenhänge aber lassen sich in Zellkulturen natürlich nicht beobachten.

Ein entscheidendes Enzym für die Produktion von Dopamin ist die „Tyrosin-Hydroxylase“, die im Stoffwechsel der Huntington-Ratten-Babys deutlich stärker als in gesunden Altersgenossen produziert wurde. Wird dieses Enzym mit einem sehr spezifischen Wirkstoff ausgebremst, normalisieren sich auch der Dopamin-Haushalt und die Verhaltensänderungen in den betroffenen Rattenbabys wieder. Zumindest bei den Rattenbabys kann man die typischen Huntington-Veränderungen im Gehirn und in den Verhaltensweisen also wieder rückgängig machen. Ob das auch für Menschen gilt, und ob vielleicht eine frühe Behandlung vor dem Auftreten der Krankheit genau wie bei den Ratten auch den Huntington-Betroffenen helfen könnte, bleibt allerdings noch im Dunkeln. Schließlich ist über solche Prozesse immer noch viel zu wenig bekannt. Am Universitätsklinikum Erlangen und an der FAU wird daher eifrig nach Wirkstoffen gesucht, die den aus den Fugen geratenen Stoffwechsel des Gehirn-Botenstoffs Dopamin wieder in die richtigen Bahnen lenken sollen.

Über den Autor

Roland Knauer ist promovierter Naturwissenschaftler, er lebt und arbeitet als Journalist und Autor mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften in der Marktgemeinde Lehnin. Unter www.naturejournalism.com stellt er sich vor.

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